Nachbearbeitung. Schon allein dem Wort stehen Ressentiments gegenüber. #NoFilters! Schließlich handelt es sich dabei um nachträgliche Manipulation der Realität. Der durch die Linsen geflossene Wahrheit, die auf dem Bildsensor sachlich und ehrlich verewigt wurde.

„Sind die Bilder bearbeitet? So gut sieht das in Wirklichkeit doch nicht aus.“, ein nicht selten geführter Dialog. Hört man genau hin, nimmt man ein leises innerliches Naserümpfen auf der einen Seite wahr, und sieht man genau hin, erkennt man leichte Wangenröte auf der Anderen. Für beides gibt es heute keinen Grund mehr, denn von Kritikern der Nachbearbeitung wird einerseits die „Wirklichkeit“ verwechselt mit anachronistischer Sehgewohnheit, verursacht durch die Abbildungtechniken der Vergangenheit, die in Wirklichkeit gar nicht so gut wie die Wirklichkeit aussahen. Und andererseits wird übersehen, dass es seit der Erfindung der digitalen Fotografie gar keine unbearbeiteten Bilder mehr geben kann. Am Rande sei angemerkt, dass keine Fotografie so schön wie die Wirklichkeit sein kann.  

Nachbearbeitung digitaler Fotografien ist heute unaufwändiger, alltäglicher und passiert gleichzeitig unbemerkter als je zuvor. In der Sekunde, wo beispielsweise mit einem Handy oder einer aktuellen Digitalkamera ein Foto gemacht wird, werden von der Hard- und Software im Gerät eine ganze Reihe von Algorithmen zur Bildoptimierung durchlaufen. Die Helligkeit wird angepasst, der Kontrast, die Farbsättigung gar die Schärfe. Viele moderne Digitalkameras oder Handys machen gleich mehrere Belichtungen pro Auslösung und rechnen daraus ein sogenanntes HDR-Bild (High Dynamic Range). Die jeweils best belichteten Stellen der jeweiligen Belichtungen werden dabei zu einem durchgehend gut belichteten Bild kombiniert. Ist das kurz nach der Auslösung im Speicher des Handys abgelegte Bild nun ein nachbearbeitetes Bild? Oder wird das Bild erst zu einem solchen, wenn der Fotograf im Nachgang zu all diesen Prozessen noch einmal „von Hand“ an der Helligkeit oder der Farbsättigung schraubt? 

Ich selbst mache häufig HDR-Kombinationen. In vielen Situationen, insbesondere wenn Sonnenlicht und starke Kontraste im Spiel sind, hat man mit dieser Technik erhebliche Steuerungsmöglichkeiten. Meine Kamera habe ich so eingestellt, dass beim Auslösen eine sogenannte Bracket-Aufnahme gemacht wird. Es werde dabei drei Bilder kurz hintereinander aufgenommen. Das Erste mit der eingestellten Belichtung, ein Weiters mit einer Unterbelichtung von einem Blendenwert, und ein Letztes mit einer Überbelichtung von einem Blendenwert. Die beiden letztgenannten Bilder sind zwar unterbelichtet bzw. überbelichtet, enthalten aber auch Teilbereiche, die besser belichtet sind, als dieselbe Stelle im Bild mit der ersten Belichtung. Diese Teilbereiche werden später in einer Software am PC in das Hauptbild hineingerechnet.

Belichtung 1

Belichtung 1: Bei diesem Bild einer Beispiellandschaft hat die Kamera eine Belichtung gewählt, die für das ganze Bild den bestmöglichen Kompromiss darstellt. An diesem Tag waren aber viel Licht und Schatten im Spiel. High Dynamic Range. Zwischen dunkelster und hellster Stelle des Bildes ist ein großer Helligkeitsunterschied. Die Spange ist so groß, dass es unterbelichtete Bereiche gibt, z.B. der Wald im Vordergrund, und überbelichtete Bereiche, z.B. die Wolken. In Teilbereichen sind diese regelrecht verbrannt.

Belichtung 2

Belichtung 2: Um die Wolken in den Griff zu bekommen macht meine Kamera den zweiten Schuss der Bracket-Reihe. Mit einer Unterbelichtung von einem Blendenwert. Im Ergebnis sind zwar jetzt die Wälder im Vordergrund hoffnungslos unterbelichtet, aber die im ersten Bild zu hell geratenen Bereiche der Wolken sind hier korrekt durchdifferenziert.  

Belichtung 3

Belichtung 3: Jetzt noch die dunklen Wälder. Eine Überbelichtung von einem Blendenwert lässt die Wolken zwar nun völlig verbrennen, aber die Wälder sind erheblich besser zu erkennen. 

Die verschiedenen Belichtungen werden natürlich nicht durch Veränderung der Blende hergestellt, das würde ja die Schärfentiefe der einzelnen Bilder verändern. Und schließlich sollen alle Fotos nachher kombinierbar sein. Die Belichtungsveränderung wird durch eine Veränderung der Belichtungszeit hergestellt. 

Kombination: Noch ein paar Klicks in der richtigen Software und ein paar Minuten Geduld, schon ist ein HDR erstellt. Von jedem der drei Bilder sind jeweils die am besten belichteten Bereiche in das neue Ergebnisbild geflossen. 

Diese HDR Kombination ist immer noch nicht so toll wie der Seheindruck vor Ort. Aber sie ist erheblich näher an der menschlichen Wahrnehmung, als die drei vorangegangenen Einzelbelichtungen. 

Wo wir bei der nächsten Verklärung wären : „So gut sieht das in Wirklichkeit ja nicht aus.“

Diese Aussage ist natürlich nicht richtig. Nichts sieht so real aus, wie die Realität. Was meint also der Betrachter, wenn er so etwas sagt?  In Wirklichkeit ist nämlich ein HDR-Foto, wie oben dargestellt, viel näher an der menschlichen Wahrnehmung, als ein zu stark kontrastierendes Foto, wie beispielsweise die Belichtung 1. Das menschliche Auge ist in Zusammenarbeit mit dem Gehirn viel leistungsfähiger als jede Kamera. Wir sind in der Lage jeden Bildausschnitt einer Szenerie in seinem lokalen Kontrastverhältnis gleichzeitig in den Idealbereich zu verschieben, so dass sich ein komplett optimal durchdefiniertes Bild ergibt. Niemals würde man die Umgebung so wahrnehmen, wie ein Foto „alter Art“. Was der Betrachter gemeint hat, ist wohl eher: „Die sehen viel besser aus, als die Fotos, die ich sonst so gewohnt bin.“. – Dieses dechiffrierte Kompliment nimmt der Fotograf gerne entgegen.

„Das ist doch sicher viel Arbeit, oder ?“

Viel ist relativ. Ein Foto knipsen dauert ein paar Sekunden. Überprüft man seinen Standpunkt oder die Perspektive noch einmal und versucht die Kamera beim zweiten Versuch ein wenig gerader zu halten, die Blende oder Verschlusszeit noch einmal zu optimieren, dann kann ein Foto auch schon mal ein oder zwei Minuten Zeit in Anspruch nehmen. Mit einem Stativ oder mit dem Einsatz von Graufiltern für Langzeitbelichtungen kommen schnell auch mal 10 Minuten zusammen. Für ein paar nachträgliche Bearbeitungsschritte braucht man auch ein paar Minuten. Aber was ist das schon? Vorher hat man ja auch sehr viel Zeit damit verbracht, arbeiten zu gehen, um das Geld zu verdienen, dass man für die Kamera ausgegeben hat. Schlußendlich hat man das Teil auch noch auf den Berg geschleppt. 

Außerdem macht es Sinn, sich nach dem „knipsen“ auch ein wenig mit den eigenen Fotos zu beschäftigen. Nur dadurch, dass man sich über die Optimierungsmöglichkeiten ein paar Gedanken macht, ist man das nächste Mal vielleicht in der Lage, noch ein bisschen besser zu fotografieren. Vielleicht.

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