In den USA wurde jüngst eine Studie im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass seit 1970 30% der in Nordamerika heimischen Vögel verschwunden sind. Nicht die gefährdeten und seltenen Arten sind gemeint, sondern Alltagsvögel. Als Zahl ausgedrückt: Drei Milliarden Exemplare. Der Nabu veröffentlicht jedes Jahr den Vogelbericht, in dem etwa das gleiche zu lesen ist. Der Dachverband Deutscher Avifaunisten ermittelte jüngst, dass zwischen 1990 und 2015 der Bestand der Feldlärche, des Distelfink und anderer Arten in Deutschland um die Hälfte gesunken ist. Noch schlimmer stet es um wegen Seltenheit bereits aus dem Sichtfeld geratene heimische Arten. Vor allem Bodenbrüter wie den Kiebitz oder das Rebhuhn. Sie stehen bereits kurz vor dem Aussterben. – Was ist hier los ?
Alltagsvögel im Sinkflug
Wer wie ich in den 70ern geboren wurde, muß realisieren, dass innerhalb seiner Lebensspanne ein Drittel der Alltagsvögel verschwunden ist. Dabei ist der Grund für diesen Artenschwund lange bekannt. Das durch die Intensivlandwirtschaft verursachte Insektensterben ist ein Umweltproblem, welches seit meiner Kindheit bekannt ist und schon in meinem Schulunterricht vorkam. Ein völlig einfacher und logischer Zusammenhang, keine große Wissenschaft.
Alltagsvögel im Sinkflug
Alltagsvögel im Sinkflug
Problem Pestizid-Einsatz
Langzeitstudien in deutschen Naturschutzgebieten belegen, dass das Fluginsektenvorkommen in den letzten 30 Jahren um 80% bis 90% geschwunden ist. Damit wird den Vögeln die Nahrungsgrundlage entzogen. Viele Vogelarten füttern Ihre Brut mit Insekten. Sind die Insekten nicht verfügbar, überlebt die Brut nicht, oder die Vögel brüten erst gar nicht. Von Großinsekten darf man gar nicht erst anfangen. Wer hat schon mal einen lebenden Maikäfer oder gar einen Hirschkäfer gesehen? Der Effekt der intensivierten Landwirtschaft auf den Artenrückgang bei Insekten und Vögeln ist lange bekannt und kann seit den 60er Jahren als öffentlich verfügbares Wissen bezeichnet werden. Es geht um monokulturellem Anbau, Einsatz von Pestiziden, Chemiedünger, extreme Flächeneffizienz und das Verschwinden von wildbewachsenen Brachflächen.
Alltagsvögel im Sinkflug
Problem Habitat-Entfall
Beispiel: Für den Stieglitz, auch Distelfink genannt, gibt es kaum noch Lebensraum. Zwischen 1990 und 2013 hat sich die Population in Deutschland halbiert. Zwar ernährt er sich nicht von Insekten, sondern von Blütensamen, aber auch die gibt es kaum noch. Intensivlandwirtschaft zeichnet sich nämlich neben Pestizideinsatz, Monokultur und Chemiedünger auch dadurch aus, den Acker möglichst effizient und flächendeckend auszunutzen. Den mit Unkraut und Wildblumen bewachsenen Feldrand, den wir vielleicht noch aus der Kindheit kennen, gibt es heute kaum mehr. Brachflächen im Wildwuchs liegen zu lassen, leistet sich heute kein Landwirt mehr.
Seit 1994 sind 90% der Brachflächen in Deutschland verschwunden. Auch die Mahtintervalle werden immer kürzer. Sobald etwas wächst, mäht der Bauer. Nicht zuletzt, weil er die Maht als Futter für die Viehzucht dringend braucht. Last but not least pflegt der Deutsche auch privates Grün zu intensiv. Wildblumen und Wildkräuter sind hier undenkbar geworden, passen nicht ins deutsche Bild von gepflegtem Grün.
Die Goldammer lebt an Feldrändern und Waldlichtungen mit einzelnen Sträuchern. Feldränder sind passe und Wald mit Sträuchern gibt es kaum noch. Ernteoptimierte Fichtenplantagen sind stattdessen Flächendecken vorhanden. Die Goldammer war einer der typischsten Agrarvögel unseres Landes und steht aber heute auf der Roten Vorwarnliste 2016 des Rote Liste Zentrums.
Alltagsvögel im Sinkflug
Problem Klima-Erwärmung
Für die Kohlmeise ist das Problem des Insektenrückgangs besonders heikel. Das Fütterungskonzept für Ihre Nachkommen sieht vor, dass sie große Mengen Raupen an viele hungrige Jungvögel verfüttert. Das heißt, Brutzeitraum und Raupenvorkommen müssen in Frühjahr zusammentreffen, sonst funktioniert es nicht. Das Phänomen des ohnehin schon verherenden Insektenrückgang wird hier noch dadurch verschärft, dass sich durch die Klimaerwärmung der Verpuppungszeitraum der Raupen verschiebt, der Brutzeitraum der Kohlmeise aber nicht bzw. langsamer. Wenn die Raupen gebraucht werden, sind sie nicht verfügbar.
Alltagsvögel im Sinkflug
Ignoriertes Wissen
Obwohl die direkte Kopplung des Vogelsterbens mit der Landwirtschaft spätestens seit den 90er Jahren im ungewollten Großversuch in Deutschland belegt wurde, ist dennoch bis heute nichts getan worden. Zur Bekämpfung der landwirtschaftlichen Überproduktion waren Ende der 80er Jahre Flächen stillgelegt worden. Schon wenige Jahre später war erkennbar, das der Vogelrückgang stagnierte, sich sogar umkehrte. Seit Anfang dieses Jahrtausends sind die Flächenstilllegungen aufgehoben und die Vogelpopulationen nahmen wieder Sinkflug auf. Mitte der 90er Jahre neu eingeführte effektivere Pestizide haben einen heute in den Niederlanden drastisch erkennbaren Trend im Insekten- und Vogelsterben angestoßen. An dieser Stelle könnte man endlos weitere Beispiele für ignoriertes Wissen bringen.
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