Wir machten uns auf, eine Woche im Rothaargebirge unterwegs zu sein, und freuten uns auf eine Fülle von Natureindrücken bei einer Wandertour in sechs Etappen durch eines der abgelegensten Waldgebiete der Bundesrepublik. So abgelegen, dass selbst das fast ausgestorbene Wisent sich hier frei lebend eine neue Zukunft aufzubauen versucht. Die erhoffte Fülle von Natureindrücken fanden wir hier tatsächlich, uns wurde nicht zu viel versprochen. Und dennoch war nicht alles so, wie wir es erwartet hatten, denn irgendwie sah unser deutscher Forst so abgeschlagen aus. D Der deutsche Forst hat Burnout
er deutsche Forst har Burnout.
Krankenakte des Waldes
Der Rothaarsteig über den Kamm des gleichnamigen Gebirges liegt größtenteils im Sauerland, an der Grenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Hessen. Im 17ten Jahrhundert war das Sauerland fast waldfrei, denn das Holz wurde zum Heizen und als Baumaterial verbraucht. Erst im 19ten Jahrhundert versuchte der Mensch der Waldlosigkeit durch intensives Pflanzen von Fichten entgegen zu wirken. Da die Böden zwischenzeitlich auch an Nährstoffen verarmt waren, wurden ausschließlich Fichten gepflanzt. Man ging davon aus, dass diese wenig anspruchsvollen Bäume, die eigentlich in kargen Bergregionen zuhause sind, mit den verarmten Böden am besten zurecht kommen würden. Außerdem überzeugte die Fichte durch schnellen, geraden Wuchs, der rasche Erntemöglichkeiten mit vielen geraden Brettern als Resultat versprach. Das Sauerland bildet hierin keinen Einzelfall, in ganz Deutschland wurde es überall genau gleich gemacht.
Doch die Fichten machen den Forstwirten gerade einen gehörigen Strich durch die Rechnung. In der aktuell auf Höchstleistung getrimmten Forstwirtschaft fühlen sie sich nicht mehr zuhause, und haben anscheinend Burnout. Sie lassen sich von dem gerade erst in Schwung kommenden Klimawandel und dem fiesen Borkenkäfer übermannen. Die gestressten Fichten haben diesen beiden Bösewichten offenbar nichts entgegenzusetzen.
Ja wie denn auch, schließlich sind sie verschleppte, artifizielle Wesen, die aus ihrem natürlichen Kontext herausgerissen wurden, fern von daheim. Fern von Mama Wald. Niemals kamen sie in den Genuss der vielen von der Natur vorgesehenen symbiotischen Beziehungen zu anderen Pflanzen, Pilz und Tierarten. Keine der derzeit sterbenden Fichten durfte in einem lebensfähigen, seine Kühle und Feuchtigkeit selbstständig bewahrenden Naturwald stehen.
Der von Menschenhand geschaffene Kunstwald stirbt daher derzeit in Gänze ab. Einem wilden Naturwald wäre das nicht passiert, da sind sich die Fachleute des Waldes einig. Die Wahrheit sprechen allerdings nur Wenige aus.
Schwarzer Borkenpeter – Der deutsche Forst hat Burnout
Aber wen soll man nun dafür öffentlichkeitswirksam verantwortlich machen? Von Forstbesitzern und Politikern wurden die Bösewichte schnell identifiziert, und die Mainstream-Medien plappern nach und propagieren 24/7: Der Klimawandel und der Borkenkäfer, die sind dran schuld.
Hier als Beweismittel eine verlassene Wohnsiedlung des Borkenkäfers in einem Stück Fichtenrinde nahe eines abgeholzten Ex-Forstes. Gut zu erkennen sind seine in den Rindenbast gefressenen Höhlengänge, mit denen er die wasserführenden Äderchen des betroffenen Baumes durchtrennt, und so seine Verdurstung verursacht.
Dem Borkenkäfer und dem Klimawandel schiebt man derweilen die Schuld für Jahrhunderte der Umweltzerstörung durch den Menschen in die Schuhe. Dabei ist der Käfer nur der Gesandte der Natur, der die aus der Waage geratene Waldsituation wieder richten soll. Er soll kränkelnde Monokultur-Plantagen fachgerecht plätten, damit gesunder und widerstandsfähiger Naturwald wieder Raum zum wachsen hat. Der Borkenkäfer leistet somit einen wichtigen Beitrag bei der Umwandlung von anfälligen Fichtenwäldern zu natürlichen Mischwäldern. Aber man lässt ihn seinen Job nur ungern machen, mehr noch; Alle hassen ihn und sind hinter ihm her. Ungerecht, denn spätestens seit 150 Jahren kennt der Mensch die Probleme der monokulturellen Nadelwälder in Deutschland, und entscheidet sich trotzdem stets erneut für diese.
Als wir dann auch noch dem sogenannten „Forstschutz“ begegnen, ist unsere Ernüchterung auf dem absoluten Tiefpunkt. Tatsächlich wird hier großflächig ein Pestizid eines namhaften deutschen Chemie-Riesen verteilt. „Dieses Holz wird mit einem Pflanzenschutzmittel gegen den Borkenkäfer geschützt. Das in die Fasern eingebettete Pflanzenschutzmittel sollte nicht mit der Haut in Berührung kommen. Bitte nicht berühren.“ – Chemiekeule statt Paradigmen-Wechsel.
Und nochmal von Vorn – Der deutsche Forst hat Burnout
Weil man ja als Menschheit ungern etwas dazulernt, macht man mit den alten Fehlern einfach stur weiter, indem man erneut mit nicht dauerhaft lebensfähigem Nadelholz wieder monokulturell aufforstet. Für jeden Baum, den der Klimawandel oder der Borkenkäfer uns nimmt, pflanzen wir einfach zwei neue, das muss doch aufgehen, oder?
Wenn der Fichtenwald erneut erkrankt, säbelt man ihn halt wieder ab. An duzenden geernteten Nadelholzplantagen müssen wir auf unserem Weg über den Rothaarkamm noch vorbei. An manchen prangen nur noch Plaketten von Nachhaltigkeit-Zertifikaten. Gleichermaßen „ökonomisch, ökologisch und sozial verträglich“ soll dieser Wald angeblich sein, der Zertifizierer garantiert für Nachhaltigkeit. „Dieser Wald ist anders“ steht auf dem Schild. Wir sehen nur: Dieser Wald ist weg. Scheinbar unbeeindruckt von Borkenkäfer und Klimawandel steht der Laubwald um das Schlachtfeld herum und schweigt. Na wenn der mal sprechen könnte.
Überall das Gleiche – Der deutsche Forst hat Burnout
Natürlich ist das Rothaargebirge im Sauerland nicht alleine mit diesem Schicksal. Flächendeckend in Deutschland und darüber hinaus lässt sich das Drama in gleicher Weise beobachten. Auch in den sogenannten Nationalparks, von denen man allein am Klang des Namens als Laie voreilig ableiten mag, dass hier die Natur noch in Ordnung ist. Weit gefehlt. Beispielsweise der Nationalpark Bayrischer Wald oder der Nationalpark Berchtesgaden. Auch hier stirbt der Forst, der einst vom Menschenhand angepflanzt wurde. Auch hier war das Land einmal waldfrei, weil alles verbraucht war und auch hier wurde falsch wieder aufgeforstet.
Allerdings ist man hier bereits einen Schritt weiter als im deutschen Normalo-Nutzforst: Man überlässt der Natur wieder das Zepter. Alles bleibt liegen, wie es fällt, und die Natur darf sich aussuchen, was sie hier mittels Spontanbewuchs anpflanzen möchte. Und das wird sie tun, und sie wird es richtig machen, im Gegensatz zum Menschen kann die Natur das ganz gut. Allerdings ist das Wort „spontan“ ein wenig beschönigend. Ein paar tausend Jahre braucht es schon für einen echten neuen Urwald. Ungefähr so lange hat es ja auch gebraucht, ihn in ganz Europa kaputt zu machen.
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